Kuschlig hat Bühnenbildnerin Nora Scheidl den Raum für die Aufführung gestaltet. Auf Plüschteppichen ohne Schuhe sitzt das Publikum in entspannender Atmosphäre auf dem Boden. Auf einem Stuhl am Ende des Stoff-Flusses hat sich Schauspielerin Sonja Kreibich platziert und erzählt die Geschichte von Dornröschen. Beim Baden trifft Dornröschens Mutter auf einen Krebs, der ihr von der baldigen Niederkunft verkündet. Was folgt ist eine Abfolge von Geschehnissen, die vermutlich jedem/jeder hierzulande vertraut sind und doch mit den unzähligen verkitschten und stereotypen Hollywood- und anderer Fernsehproduktionen in Umlauf gebrachten Versionen weitaus weniger gemein haben.

Als Version für den Bühnenraum diente Elisabeth Schimana, die für Konzept und Musik verantwortlich zeichnet, die so genannte Oelenburger Handschrift aus dem Jahre 1810 – eine frühere Version der Gebrüder Grimm, bevor sie die Märchen bis zur letzten Ausgabe von 1857 mehrmals überarbeiteten und diese zum Bestseller avancierten. Der Prinz erscheint darin nicht so sehr als Held in „goldener Rüstung“. Die Rettung weniger spektakulär.

Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum

Auf der Bühne im Dschungel darf endlich auch Dornröschen zu Wort kommen. Obwohl, irgendwie doch nicht so ganz. An ihrer Stelle liefert Erzähler Christian Reiner auf einem Text von Ann Cotton basierende Gedankenfetzen aus der Welt einer Pubertierenden. Warum muss ich jeden Monat bluten? (Dornröschen sticht sich an der Spindel just in jener Zeit als sich ihre „Frauwerdung“ vollzieht) Wieso muss ich so viel putzen? Warum ist die Umwelt so verschmutzt? Das sind nur einige Fragen, die – warum ausgerechnet wieder von einem Mann als Erzähler vorgetragen, fragt sich die Kulturfüchsin – in den Bühnenraum geworfen werden.

Doch ob männlicher Schauspieler oder nicht: es fällt schwer dem Text zu folgen. Die zugegeben gelungene Performance von Reiner passt zwar wunderbar zu den ebenfalls fragmentarischen auf alten Instrumenten (Harfe, Virginal und Flöten), virtuos von „airborne extended“ dargebotenen Klängen, allerdings hilft sie wenig aus Dornröschens Gedankengängen eine Botschaft zu entschlüsseln. Dem Gedankenstrom fehlt ein Konzept. Das ist schade, vor allem weil im Programmheft auf „Die Wolfsfrau“ von Clarissa Pinkola Estés, in dem unterschiedliche Märchen aus einer feministischen Perspektive gelesen werden, verwiesen wird. Die Gedanken von Dornröschen bleiben wirr. Ebenso wie die Bilder, die Markus Winterberger für die Zeit von Dornröschens 100jährigen Schlaf konzipierte.

Quasi aus dem Kopf der Schlafenden extrahiert werden die bunten Aufnahmen von Pflanzen und Tieren mittels VR-Brille, die Reiner trägt, und die für das Publikum sichtbar auf weiße Stoffbahnen in den Raum projiziert werden. Als Ausgangsmaterialien für die Video- und Klangaufnahmen diente ein Naturreservat in Neuseeland. Das in Wellington um zwei alte Stauseen angelegte, eingezäunte „ecosanctuary“ beherbergt unter anderem neuseeländische Tiere, die von eingeführten Arten fast ausgerottet worden sind. Ziel war es, einen Zustand vor der Ankunft der Menschen auf dem Kontinent herzustellen. Man muss allerdings den Pressetext lesen um an derlei Informationen zu gelangen.

Mit 20 Minuten fällt das Wachkoma Dornröschens auf der Bühne zwar nicht 100 Jahre aus, allerdings macht sich auch bei dem einen oder anderen Zuseher Schläfrigkeit breit. Am Ende erwacht Dornröschen und alles geht weiter wie bisher. Das hinterlässt ein Gefühl der Unvollständigkeit. Auch wenn man zum Festival „Wien Modern“ passend – in dessen Rahmen das Stück von „netzzeit“ erarbeitet wurde – auf sphärisch wirkenden Klängen davon schwebend für kurze Zeit seinem Alltag entfliehen konnte.

„gestochen und weg“
verbleibende Termine:
29. November, 19.30 Uhr
30. November 2018, 10.30 & 19.30 Uhr
Dschungel Wien
Museumsquartier Wien
Museumsplatz 1
1070 Wien
Ab 14 Jahren
www.dschungelwien.at
www.netzzeit.at

© Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Geschrieben von Sandra Schäfer